Oppi, Vater der Atombombe

Von Luis Pintak

Nach nur ein paar Wochen dürfte inzwischen jede:r von Hollywoods zwei neuen Sommer-Blockbustern Barbie und Oppenheimer gehört haben. Nach Jahren der Abstinenz habe ich mir mit Oppenheimer erstmals wieder einen Film im Kino zu Gemüte geführt. Christopher Nolan schafft ein Werk von enormer Größe, das jedoch ein paar Schwächen aufweist.

Es ist schon eine besondere Aufgabe, diesen Film überhaupt zusammenzufassen. Wie schon bei früheren Filmen Nolans ist auch Oppenheimer nicht chronologisch aufgebaut. Es fallen sofort Szenensprünge auf, hektische Bildwechsel und Kameraeinstellungen. Gewechselt wird zwischen zwei mächtigen Männern mit hoher Position. Auf der einen Seite: Joseph Robert Oppenheimer, abgekürzt J. Robert Oppenheimer oder einfach nur „Oppi“ genannt. Er gilt als der Vater der Atombombe. Die Bombe, die wohl eigentlich Nazi-Deutschland zerstören sollte, nach der Kapitulation 1945 schließlich in Hiroshima und Nagasaki niederging und für den Tod Hunderttausender verantwortlich wurde. 

Frage der Existenz und Integrität: Oppenheimer oder Strauss

Doch zunächst ist da nur ein unter Druck gesetzter Oppenheimer, kraftvoll gespielt von Cilian Murphy – in einem ungewöhnlich engen Büroraum bei einer Anhörung durch eine Kommission, bestehend aus hartgesottenen Beamten. Es geht um nicht weniger als die Frage seiner Sicherheitsfreigabe als Wissenschaftler, also die Erlaubnis, in Wissenschaftskommissionen von nationalem Rang mitwirken zu können. Für Oppenheimer aber noch viel mehr: eine Frage der Existenz und Integrität. 

Auf der anderen Seite, in schwarz-weiß gedreht: Lewis Strauss, gespielt von einem grauhaarigen Robert Downey jr., der sich vor einem Ausschuss rechtfertigen muss. Strauss, einst ein mittelständischer Schuhverkäufer, der sich in der Politik hochgearbeitet hat, steht kurz davor, US-Handelsminister zu werden. Den ehemaligen Leiter der US Atomic Energy Commission (AEC) könnte ausgerechnet Oppenheimer zu Fall bringen. Auch nach dem Abwurf der Atombombe hat dieser Einfluss im Nachkriegsamerika, doch ihm werden kommunistische „Umtriebe“ und Spionage für die Sowjetunion vorgeworfen.

Komplexes Thema in drei Stunden

Das Thema ist komplex, die Verbindungen zwischen den Personen rätselhaft. Einen Durchblick erhält man zunächst nicht. Der Film zeichnet sich durch markante Zeitsprünge aus; erst langsam schält sich der Kern heraus. Die Rahmenhandlung um die zwei Anhörungen bzw. Ausschüsse um Oppenheimer und Strauss ist in der Zeit der McCarthy-Ära von 1947 bis 1956 angesiedelt – die Zeit, in der vor allem einflussreiche Menschen mit kommunistischen Verbindungen in ihrer Reputation denunziert und entlassen wurden. In straffen Rückblenden der Vergangenheit wird erzählt, wie Oppenheimer zum Wissenschaftler wurde, mit Stationen in Cambridge, Göttingen, Kalifornien und North Carolina. 

Besonderes Augenmerk wird auf den Bau der Atombombe im Manhattan Project 1942 – 1945 gelegt. Hierfür veranlasste Nolan einen riesigen Nachbau der Wüstenstadt Los Alamos in der Wüste von New Mexico und zog einen ebenso eindrucksvollen Pool an Stars zusammen, die als Wissenschaftler:innen die Bombe entwickeln. Es wird ein ständiges Auf und Ab mit Streitigkeiten und Unsicherheiten eines tragischen Genies gezeigt – immer mit Zeitdruck im Nacken, das Gadget fertigzustellen. Angereichert wird alles mit einer üblichen, vom Blockbuster-Patriotismus geprägten Freude, die Bombe erfolgreich in die Luft zu jagen. 

Nolan geht es ums Ganze

Aber auch Oppis Familienleben wird beleuchtet. Emily Blunt spielt seine Ehefrau Kitty, die unter einem Alkoholproblem leidet. Auch seine Verbindung zu kommunistischen Freund:innen bzw. Familienmitgliedern wird gezeigt, so zu seinem Bruder Frank (Dylan Arnold), der das Projekt Los Alamos trotz kommunistischer Verbindungen auf Drängen seines Bruders schließlich doch unterstützen darf; zudem auch Oppis Liaison mit Jean Tatlock (Florence Pugh), die seine Ehe ins Wanken bringt. Es gibt fast nichts, was der Film nicht auslässt. Zu loben ist natürlich vor allem das Setting, das ständig von Größe und Pomp nur so strahlt, gleichzeitig aber auch die kleinen Räume betont, wie einen unscheinbaren Unterrichtsraum einer Universität oder ein dunkles Wohnzimmer im Familienwohnhaus. Nolan sprengt nicht den Rahmen an Detailverliebtheit im Sinne eines Wes Anderson. Man merkt jedoch schnell: Nolan geht es ums Ganze, von dem Glas Martini über zum heftigen Knall nach der Feuersäule der Explosion.

Zwischen Wimmelbuch und Wissenschaften

Manchmal wirkt der Film fast ein wenig überfrachtet: Der große, gut spielende Cast gleicht an manchen Stellen einem Wimmelbuch, das mehr wimmelt als notwendig ist. In einer sehr kurzen Szene hat sogar der deutsche Schauspieler Matthias Schweighöfer als Werner Heisenberg einen Auftritt. Diese hätte man sich auch sparen können. Dennoch zeigt Nolan Können: Kaum ein einziger Moment ist nicht mit Spannung aufgefüllt, die drei Stunden Laufzeit werden gut genutzt, ohne die Handlung unnötig in die Länge zu ziehen. Inhaltlich sprüht alles nur so von Dialogen, die sich gleichzeitig mit dem acting der Schauspieler:innen die Waage halten. An wissenschaftlichen Details wird nicht gegeizt, aber auch nicht außergewöhnlich viel Terrain geboten; manches Kritzeln einer Formel an die Tafel wirkt fast künstlich-übereifrig.

Neben dem Bau der Bombe versucht sich der Film auch am moralischen Dilemma des großen Physikers: Wäre der Einsatz einer Atombombe in Japan, einer Bombe mit solch tödlichem Ausmaß, wirklich notwendig gewesen? Auch, wenn Nazi-Deutschland schon besiegt war? Und wie sieht die politische Rolle von Wissenschaftler:innen und ihr moralisches Empfinden aus? Der Film versucht, dieses moralische Empfinden an Oppenheimers Person zu ertasten; man merkt, dass er Schwierigkeiten hat, den Abwurf oder seine Arbeit zu rechtfertigen. 

Raffinierte Zeitsprünge: Einzelne Szenen hätten länger sein können

In einem Versammlungsgebäude sieht man einen Oppenheimer, der das jubelnde Publikum vor sich verschwimmen sieht, eine Art Schock; Oppi scheint nicht mit sich im Reinen zu sein, obwohl er einst mit dem Abwurf (jedenfalls über Nazi-Deutschland) einverstanden war. Hier liegt auch ein wenig der Zwiespalt zwischen Tempo und Ausgeglichenheit: Oppenheimers innere Zerrissenheit wird ersichtlich, eine Deutung seiner Gedanken jedoch durch die Hektik geraubt. Nolan bewahrt damit wiederum den Charakter eines rasanten, politischen Intrigenspiels zwischen Schuldmoral und dem eigenen Karrieretod, verpatzt aber Momentfragen. So hätte man der Befragung des Wissenschaftlers Edward Teller, „Erfinder der Wasserstoffbombe“, auf dem Höhepunkt eines ausgereizten Befragungsmarathons noch mehr Raum geben können, sodass die Wirkung nicht gleich verpufft. Immerhin verpasst Teller Oppenheimer einen ordentlichen Dolchstoß, indem er ihn belastet.

Manchmal hätten den einzelnen Szenen auch ein oder zwei Sätze mehr in den Dialogen gutgetan. Kaum sind die Sätze gefallen, wechselt das Bild abrupt zur nächsten Szene. Zur Entschlackung hätte auch die Reduktion der Musik beigetragen. Ständig stellen sich dramatische Klänge von Streichinstrumenten ein, die sich Zuschauenden geradezu nervtötend aufdrängen. Ein paar Momente mehr ohne Musik wären dem Publikum sicher zuzumuten gewesen.

Die Hektik des politischen Betriebs hat aber durchaus seine Raffinesse. Die Zeitsprünge in Form von Rückblenden in Oppenheimers Vergangenheit und der Durchbrechung durch die gegenwärtige Rahmenhandlung verweben das Geschehen in ein dynamisches, unbeständiges Biopic-Drama, das durchaus ein schnell arbeitendes brain of science eines Oppenheimers widerspiegeln könnte. Man fühlt sich gefordert und immer unter Strom gesetzt. Gerade das ist einer der vielversprechendsten Aspekte dieses Films. 

Christopher Nolans Oppenheimer punktet mit herausragendem Setting, Cast und spannender Handlung. Der Film könnte jedoch noch mehr sein; durch Schnitzer der Machart bedient er das amerikanische Blockbuster-Kino und unterschreibt damit seine eigenen Schwächen. Dennoch ein ansehnlicher Film, der das Publikum herausfordert und unterhält.

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