Wir müssen reden! Und zwar über Mary Anning

Von Antonia Dopp

Ich könnte jetzt ganz überheblich fragen, ob ihr wisst, wer Mary Anning war. Nur, um danach ihre äußerst wichtige Bedeutung für die Paläontologie darzulegen und euch ein schlechtes Gewissen zu bereiten, dass ihr den Namen zuvor vielleicht noch nie gehört habt. „BILDUNGSLÜCKE!“ schreit es dann aus jeder Ecke und das Akademiker:innen-Herz schluchzt.

Aber das mache ich nicht. Ich frage nicht: „Na? Weißt du, wer Mary Anning war? Nein? Fatal! Schäm dich!“ Und warum frage ich das nicht? Weil ich selbst bis vor ein paar Monaten den Namen noch nie gehört hatte. DAS ist fatal – finde ich, schließlich studiere ich was mit Bio (Biodiversität) und finde Dinos richtig toll. Aber Mary Anning? Noch nie gehört.

Selbst wenn ich sie in keinem Dinosaurier bzw. Urzeit-Buch gefunden hatte, es gibt sogar einen Film über sie (Ammonite aus dem Jahr 2021 mit Kate Winslet als Mary Anning). Der Film besteht sogar den Bechdel-Test. Also noch ein Grund mehr, sich (mich) zu fragen, warum man (ich) den Namen Mary Anning noch nie gehört hat (habe).

Aber wer war sie nun? Was hat sie gemacht? Erreicht? Worin liegt ihre Bedeutung für heute?

Mary Anning wurde 1799 in Dorset, England, in sehr armen Verhältnissen geboren. Die Kindersterblichkeit war hoch, neun oder zehn ihrer Geschwister verstarben bereits im Kindesalter (unterschiedliche Quellen nennen unterschiedliche Zahlen) – nur sie und ihr Bruder Joseph überlebten.

Ihr Vater war Tischler, der, um noch etwas mehr Geld in den Haushalt zu bringen, Fossilien aus den nahen Küstengebieten an Tourist:innen verkaufte. Mary und ihr Bruder begleiteten ihren Vater bei der Suche und so bekam Mary die ersten Berührungspunkte mit Fossilien.

Nach dem frühen Tod ihres Vaters verkauften die beiden Kinder, von der Mutter ermutigt, weiterhin Fossilien. Bereits im Alter von zwölf Jahren entdeckte Mary ein komplettes Ichthyosaurus-Skelett von über 5 Metern Länge. Das muss man sich einmal vorstellen! Zuerst hatte ihr Bruder den Schädel des Skelettes gefunden, Mary grub dann in Feinstarbeit das komplette Skelett aus. (Übrigens: Der Ichthyosaurus ist gar kein Dinosaurier – im systematischen Sinne.)

Charles Darwins Evolutionstheorie war damals noch nicht veröffentlicht, sodass das Konzept von ausgestorbenen Arten nicht wirklich existierte. Zwar hatte Georges Cuvier kurz zuvor eine Theorie dazu aufgestellt, aber die war eben ganz frisch und im damals streng gläubigen England zunächst verpönt.

Was macht man also, wenn so ein Fund auftaucht? Man sucht sich ein Tier, das so ähnlich aussieht und proklamiert dann, dass das Tier einfach nicht mehr in England zu finden sei, sondern irgendwo anders. So war es dann auch: Den Schädel bzw. das komplette Skelett hielt man zunächst für ein Krokodil.

Marys nächster großer Fund war das vollständige Skelett eines Plesiosauriers (und wer hätte es gedacht, auch dies ist im systematischen Sinne kein klassischer Dino, sondern gehört zu den Sauropterygia) im Jahr 1821 oder 1823 (auch hier gibt es verschiedene Quellen). Es soll bis heute das am besten erhaltene Skelett eines Plesiosauriers sein.

Die Entdeckung und Freilegung waren dabei so bemerkenswert, dass man munkelte, der Fund sei eine Fälschung – selbst Georges Cuvier zweifelte die Echtheit an. Die wissenschaftliche Gesellschaft (Geological Society of London) berief daraufhin eine Sondersitzung ein, denn so ein spektakulärer Fund muss überprüft und diskutiert werden; nicht, dass man auf die Nase fällt, wenn es wirklich eine Fälschung war.

Das lässt sich ja sogar noch rechtfertigen, schließlich durfte man sich wirklich keine Fehler erlauben, sonst stand es wieder 1:0 für die biblische Entstehungsgeschichte und das mit der Evolution und dem Aussterbe-Konzept wäre wieder hinfällig.

Was aber weniger zu rechtfertigen war: Mary Anning selbst wurde nicht zu dieser Sondersitzung eingeladen. Wozu auch? Sie hat das ganze Ding ja nur in Feinarbeit ausgebuddelt…

Auf jeden Fall gestand Cuvier nach langen Diskussionen ein, dass das Fossil keine Fälschung sein kann.

Wie so häufig in der Geschichte wurde die Arbeit einer Frau nicht wirklich anerkannt. Mary hatte kaum Schulbildung und stammte dazu noch aus sehr armen Verhältnissen. Lesen konnte sie, Anatomie und Geologie brachte sie sich selbst bei. Wenn sich die Möglichkeit ergab, tauschte sie sich auch mit führenden Wissenschaftlern und anderen Sammlern über ihre Funde aus. Unterstützt wurde sie auch von Elizabeth Philpot, die aus gehobenem Haus stammte, aber viel Zeit mit Mary verbrachte. Sie ermutigte Mary immer wieder, sich mehr und mehr mit Anatomie und Geologie auseinanderzusetzen und zu lernen.

1828 entdeckte Mary dann die ersten Überreste eines Dimorphodon (ein Flugsaurier) außerhalb Deutschlands. Wieder eine absolute Besonderheit!

Plesiosaurier, Ichthyosaurier oder Dimorphodon außerhalb Deutschlands – die Bedeutung von Mary Annings Arbeit ist nicht zu negieren. Trotzdem wurde sie nicht in die Geological Society of London aufgenommen (das wurden Frauen erst ein Jahrhundert später) und in wissenschaftlichen Berichten – selbst über Ichthyosaurier!!! – fehlte ihr Name.

Mary starb 1847 im Alter von 47 Jahren an Brustkrebs. Ihr ganzes Leben verbrachte sie in ärmlichen Verhältnissen, obwohl sie viele weitere Fossilien ausgegraben und verkauft hatte.

Und genau deswegen müssen wir reden! Und zwar mehr über Frauen in der Wissenschaft. Wir müssen über Frauen wie Mary Anning reden, die eine große Bedeutung für die heutige Paläontologie hat, aber deren Name noch viel zu selten erwähnt wird.

Beitragsbild: Antonia Dopp

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