Ein Kommentar von Sebastian Brosowski und Antonia Dopp.
„Wissenschaftlicher Pragmatismus und Realitätssinn, dazu ein waches Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft prägen die Geschichte der Georg-August-Universität bis in die Gegenwart.“ – Leitbild der Georg-August-Universität Göttingen
Dieser Satz im Leitbild der Universität bringt eine große Verantwortung mit sich. Gerade der Teil „ein waches Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft“ ist nichts, das man sich ‚einfach mal so‘ irgendwo in ein Leitbild schreibt. Andererseits: Natürlich kann man es ‚einfach mal so‘ in ein Leitbild integrieren, aber wie viel ist so ein Satz wert, wenn die entsprechende Institution nicht danach handelt?
Eine der schwerwiegendsten Debatten in Politik und Wissenschaft ist die Bekämpfung einer „Polykrise“ bestehend aus der Klimakrise und der Biodiversitätskrise. Die Auswirkungen von beiden kennen wir bereits seit Jahrzehnten und bemerken sie schon heute. Und dennoch beklagen sich Vereinigungen von Wissenschaftler*innen – zurecht –, dass weder genügend getan, noch genügend über die Auswirkungen dieser Polykrise kommuniziert wird.
An dieser Stelle kommen meist die deutschen Bildungsinstitutionen ins Spiel: Universitäten mit gutem und weit bekanntem Ruf, die sich nun die Aufgabe vornehmen, beides zu tun. Oder eben auch nicht. Eine solche Behauptung könnte man zumindest mit Blick auf das Klimaschutzstatement der Universität Göttingen in den Raum werfen: Eine große Aufgabe mit vielen Ansatzpunkten und doch hakt es an der Umsetzung.
Und es mangelt nicht an Beispielen für solche Schwierigkeiten. Man nehme das Thema Photovoltaikanlagen: Die Universität hat zahlreiche Dachflächen, die mit Photovoltaikanlagen laut Einschätzung der Universität bis zu 4 Prozent des Strombedarfs decken könnten. Und doch ist seit 2016 keine neue Anlage ans Netz gegangen. Die Folge: Gerade einmal 0,1 Prozent des Strombedarfs der Universität kommt aus Photovoltaikanlagen. Der Rest wird entweder zugekauft oder kommt aus einem Gaskraftwerk.
Immerhin soll sich das ändern. Nach Informationen der Universität soll bis 2026 ein Photovoltaikkraftwerk in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken gebaut werden. Damit könnte laut Pressemitteilung der Universität bis zu 25 Prozent des Strombedarfs gedeckt werden. Und doch müsste die Universität auch in Zukunft Strom zukaufen, wenn man das Gaskraftwerk weiterhin außer Betrieb setzen will. Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.
Wenn es um das Thema Wärme geht, sieht es allerdings nicht gut aus. Zum tatsächlichen Erreichen der Klimaziele der Universität – also Klimaneutralität bis 2030 – müsste man 12 Prozent des Wärmebedarfs der Energie pro Jahr einsparen. Ein unrealistisches Ziel. Ein realistischeres Ziel wären 3 Prozent Einsparungen pro Jahr, mit denen allerdings die Klimaneutralität nicht erreicht würde. Aber noch nicht einmal dieses Ziel erreicht man, stattdessen hängt die Universität bei 2 Prozent fest.
Die Rolle des Landes Niedersachsen
Liegt die Schuld für all diese Probleme bei der Universität selbst? Nein! Die Universität wies in einer Anfrage von GöHört zurecht auf zahlreiche Hürden für das Erreichen von Klimaneutralität hin. Dazu gehörten „fehlende Finanzmittel, personelle Ressourcen sowie in- und externe Fachkräfte“. Und bei zahlreichen dieser Bestandteile ist auch das Land Niedersachen in der Verantwortung. Selbiges hatte zumindest angekündigt, das Energiebudget für Universitäten zu erhöhen und zusätzliche Fördermittel für energetische Sanierungen anzubieten. Die angekündigten 94 Millionen Euro würden allerdings nicht einmal für die notwendigen Sanierungskosten eines Jahres ausreichen, und das nur an einer Universität (Niedersachsen hat 28 Hochschulen, davon 13 Universitäten)! 94 Millionen Euro sind halt weniger als die notwendigen 320 Millionen Euro. Wofür das Land allerdings bereit war, noch etwas auszugeben, war die Vorbereitung der Universitäten auf die (auch kritisch zu sehende) Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder. Für diese stellte das Land Niedersachsen knapp 24 Millionen Euro zur Verfügung. Was daraus wohl in Göttingen geworden ist…?
Auch sonst ist die Universität nicht an allem Schuld. Sie kann nichts dafür, dass einige Gebäude aufgrund von Denkmalschutz nicht für eine Sanierung im Sinne von Klimaneutralität geeignet sind. Sie kann nichts dafür, dass nicht alle Dächer für Photovoltaikanlagen baufähig sind. Und sie kann auch nichts dafür, dass das Studentenwerk Göttingen Gas zum Betrieb der Nordmensa (bzw. der „Campusgastronomie im Norden“) nutzen will – Universität und Studentenwerk sind zwei verschiedene Institutionen.
Doch es gibt zumindest Hinweise darauf, dass die Universität die Einhaltung des Ziels nicht ganz so ernst nimmt. Unter Präsidentin Beisiegel wurde die Vizepräsidentschaft für Infrastruktur und Digitales geschaffen, also ein Amt mit großem Potential zur Arbeit in Richtung Klimaneutralität. Nachdem Norbert Lossau auf bizarre Weise aus diesem Amt entfernt wurde, wurde das Amt mittlerweile gleich komplett entfernt. Die Aufgaben des Amtes wurden übertragen auf das Amt der Vizepräsidentin für Finanzen und Personal Valerié Schüller (die kennen wir doch).
Ein weiterer Hinweis: Bis 2025 muss die Universität das Gebäudeelektromobilitätsinfrastrukturgesetz (GEIG) umsetzen und nach eigenen Angaben bis zu 350 Ladepunkte aufbauen. Die Universität wusste jedoch nach Anfrage von GöHört nicht, wie viele Ladepunkte überhaupt aktuell existieren. Zeigen diese zwei Punkte, dass man wirklich ernsthaft an der Umsetzung der eigenen Klimaziele arbeitet? Nicht unbedingt.
Genauso wenig überzeugend daher: Das eigene Selbstverständnis im Leitbild der Universität! Dieses wird in den derzeitigen (Nicht-)Bemühungen bezüglich der Klima- und Biodiversitätskrise kaum sichtbar. Weder das Ziel des Leitbildes, die gewonnenen „Erkenntnisse nutzbar zu machen“, noch „die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen der Zeit in kritischer Reflexion zu berücksichtigen“ lassen sich in der Umsetzung des Klimaschutzstatements und der dazugehörigen Vorhaben wiederfinden. Ja, die Universität ist nicht untätig, aber die Geschwindigkeit und der Umfang, in dem die geplanten Maßnahmen umgesetzt werden (sollen), lässt zu wünschen übrig. Eine Situation, die so nicht haltbar sein sollte: Ein Leitbild, welches im besten Fall aktuell ignoriert wird, und im schlimmsten Fall kein Leitbild zu sein scheint.
Es ist logisch, dass auch das Land Niedersachsen hier eine Verantwortung trägt. Und es sollte selbstverständlich sein, dass das Land seine Universitäten so gut wie möglich bei der Erreichung von Klimaneutralität unterstützt. Doch gleichzeitig müssen die Universitäten deutlich machen, dass sie dieses Ziel auch ernsthaft verfolgen (wollen).
