Glaube zum Anfassen: Was von Heiligabend übriggeblieben ist

von Karsten Gräf

In der Adventszeit fiebert der gläubige Christ der Ankunft des Heilands entgegen und verkürzt sich die Zeit mit Glühwein und Spekulatius. Am 24. Dezember heißt es dann: Geburt im Stall, der Erlöser liegt plärrend in der Krippe und um ihm herum stehen schaulustige Hirten sowie drei Könige. Bei dieser ganzen Besinnlichkeit haben sich Maria und Josef sicherlich nicht unbedingt gefragt: Was machen wir nun mit der Nabelschnur?

Die katholische Kirche hat hunderte Jahre später dennoch eine Antwort auf diese Frage parat, und zwar: Heiligenverehrung! Der Sanctus Umbilicus, wie der Nabel von den Katholiken genannt wird, ist eines von zahlreichen Reliquien des Christentums.

Das Verehren von Reliquien ist ein essenzieller Bestandteil der katholischen Volksfrömmigkeit. In der evangelischen Kirche ist dieser Brauch weitestgehend unbekannt. So bezeichnete Reformator Martin Luther Reliquien als „alles tot Ding“ und verachtete den regen Handel mit den Heiligtümern, welcher damals bereits ohne das Händlerkärtchen von Horst Lichter florierte. Gläubige Käufer hofften durch die Gegenstände Hilfe gegen Seelenqualen und Existenzängste zu erfahren.

Das Wort Reliquie (lat. reliquiae) heißt so viel wie das Zurückgelassene oder Überbleibsel. Vor allem Körperteile oder Gegenstände, die der oder die Heilige benutzt hat, sind als Reliquien verehrt. Dazu gehören auch Kleidungsstücke, mit denen der oder die Heilige in Berührung gekommen ist oder gekommen sein soll.

Aber Reliquie ist nicht gleich Reliquie. Nach katholischem Verständnis gibt es Reliquien erster Klasse, welche körperliche Überreste, wie Knochen, Haare oder Asche heiliger Personen beinhalten. Nach christlichem Glauben ist Jesus Christus, wie auch Maria, bei seiner Himmelfahrt leiblich aufgefahren. Deshalb sollen von seinem Körper nur diejenigen Bestandteile auf Erden verblieben sein, die er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei sich hatte.

Neben der Nabelschnur als primäre Reliquie gibt es – wirklich wahr – die Heilige Vorhaut. Diese wurde dem Heiland laut dem Lukasevangelium am achten Tage nach seiner Geburt im Zuge seiner Beschneidung entfernt (Lk. 2: 21) und, einer Legende nach, von einer alten Frau in Öl eingelegt und somit über die Zeiten konserviert worden. Die Reliquie soll Karl der Große später von einem Engel oder der byzantinischen Kaiserin Irene erhalten und am 25. Dezember 800, anlässlich seiner Kaiserkrönung, Papst Leo III. überreicht haben. Nach einigen Stationen wurde die Heilige Vorhaut ab dem 16. Jahrhundert im italienischen Calcata aufbewahrt und noch bis 1856 von einem Bischof als „echt“ verifiziert. Seither wurde das Relikt immer wieder bei Prozessionen der Öffentlichkeit gezeigt, bis sie 1983 aus ungeklärten Umständen verschwand.

Auch von der Heiligen Maria ist mehr als nur der R’n’B-Hit von Santana und The Product G&B übriggeblieben. So waren im Mittelalter Ampullen mit der Muttermilch Marias der letzte Schrei. Von der sogenannten Lactatio Mariae soll es im 12. Jahrhundert bis zu 69 Exemplare gegeben haben. Unteranderem soll der Luther-Fan Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen neben einigen Haaren Marias eben auch Marienmilchfläschchen besessen haben. Als Besitzer der drittgrößten Reliquiensammlung seiner Zeit, erscheint dies als ein absolutes Must-have.

Bei Reliquien zweiter Klasse handelt es sich hingegen um Gegenstände, welche Heilige berührt oder benutzt haben sollen. Beispiele dieser Berührungsreliquien sind der Hirtenstab Josefs oder auch Teile seines Mantels, in welchem er das Jesuskind eingehüllt haben soll. Diese werden in der Santa Cecilia und in der Sant’Anastasia al Palatino in Rom aufbewahrt. In Deutschland hingegen ist man auf Reliquien stolz, die für wenige beneidenswert sind. Alle vier Jahre präsentiert der Aachener Dom feierlich seine heiligen Schätze bei der Aachener Heiligtumsfahrt. Diese bestehen neben dem Kleid Marias und dem Lendentuch Christi, auch aus den Windeln Jesu.

Zudem besitzen Orte, wie die Geburtsgrotte Jesu in Betlehem, in der Heiligenverehrung einen hohen Stellenwert. Seit dem zweiten Jahrhundert feiern tausende Pilger in der kleinen Stadt im Westjordanland das Weihnachtsfest.

Der Reliquienkult kann als sinnfälliger Ausdruck der Heilsgeschichte betrachtet werden, welcher jedoch nur im Glauben erfasst werden kann. Für das katholische Verständnis von Reliquien ist die wissenschaftliche Beweisführung ihrer Echtheit irrelevant. Von zentraler Bedeutung ist vielmehr die theologische Symbolhaftigkeit. Außerdem ist eine Echtheitsprüfung nicht gänzlich ungefährlich. 1717 zerstörte der französische Bischof Jean-Baptiste-Louis-Gaston de Noailles den „Heiligen Nabel“ von Chalons-en-Champagne. Dieser hatte die Reliquie nach einer Prüfung durch seinen Arzt, der der Legende nach daran kaute, für unecht erklärt.

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