Von Sophie Bross
März 2023
Ich sitze im vollen Wartezimmer. Mein Blick schweift über die schneeweißen Wände und die für Arztpraxen typischen, leicht verstörenden Kunstwerke. Ich bin nervös. Wie jedes Jahr. Jedes Mal, wenn ich zur jährlichen Kontrolle gehe, fühle ich mich für einen Moment wieder wie das 15-jährige Mädchen, das damals nicht wusste, was es bedeutet, die Pille zu nehmen. Mein Name wird aufgerufen. Die freundliche Arzthelferin führt mich ins Untersuchungszimmer, wo ich mich auf die bevorstehende Untersuchung vorbereite. Wie immer sitze ich auf dem Untersuchungsstuhl und fühle mich ein bisschen wie Donald Duck – nur ohne die Quietschstimme. Während ich warte, versuche ich, meine Gedanken zu ordnen und nicht daran zu denken, wie unbeholfen ich gleich aussehen werde.
Die Ärztin kommt herein, prüft alles routiniert, fragt Smalltalk-artig, ob es Beschwerden gibt. Ich zögere kurz, nehme dann aber meinen Mut zusammen. Ich erzähle von meinen immer stärker werdenden Migränen, dem Schwindel, der ständigen Abgeschlagenheit. Ich frage, ob das mit der Pille zusammenhängen könnte. Sie hört aufmerksam zu (Was meine vorherige Ärztin nicht hatte und mich zu oft abgetan hatte). Als sie fragt, wie mein Zyklus vor der Pille war, muss ich passen. Ich weiß es nicht. Ich habe die Pille so kurz nach meiner ersten Periode verschrieben bekommen, dass ich nie richtig erfahren habe, wie mein natürlicher Zyklus eigentlich aussieht.
Schon länger habe ich mit dem Gedanken gespielt, die Pille abzusetzen. Doch die Angst war groß: Hormonschwankungen, ungewollte Schwangerschaft, Haarausfall, Hautprobleme. Ich hatte Horrorgeschichten von Freundinnen gehört, die nach dem Absetzen monatelang keine Periode mehr hatten oder durchgängig am bluten waren. Aber meine Ärztin rät mir dazu. „Lernen Sie Ihren Körper neu kennen“. Geben Sie ihm Zeit. Und verzichten Sie am besten erst mal auf hormonelle Alternativen.“ Sie drückt mir einen Flyer mit Verhütungsmethoden in die Hand. Ich bin nervös, aber auch neugierig.
Was man über die Pille wissen sollte
Die Antibabypille ist eines der sichersten Verhütungsmittel (Pearl-Index: 0,1–0,9 bei korrekter Anwendung). Sie reguliert den Zyklus, lindert oft Menstruationsbeschwerden und verringert das Risiko bestimmter Krebsarten. Aber sie hat auch Nebenwirkungen: Stimmungsschwankungen, Libidoverlust, Gewichtszunahme, Migräne, Thrombosegefahr. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nehmen etwa 47% der 18- bis 29-jährigen Frauen in Deutschland die Pille.Quellen: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), pro familia, Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)
Die zweite Pubertät
Ich nehme meine zwei letzten Blister zu Ende und starte nach der letzten Pillenpause nicht mehr neu. Die ersten Tage verlaufen unspektakulär. Dann wird mir auf einmal ständig heiß. Ich fange an zu schwitzen, während andere frösteln. Meine Mutter macht Witze über vorgezogene Wechseljahre. Ende Juli kommt meine erste natürliche Periode. Spät, dafür umso stärker. Die Menge an Blut überrascht mich. Aber die gefürchteten Steißbeinschmerzen bleiben aus. Stattdessen zieht es mehr im vorderen Unterleib. Schmerzhaft, aber auszuhalten und nicht gerade mehr als vorher.
Im August entdecke ich zum ersten Mal kleine Pickel. Ich hatte früher nie große Hautprobleme, vermutlich wegen der frühen Pilleneinnahme. Jetzt kommen in der zweiten Zyklushälfte ein paar Unreinheiten – nichts Dramatisches. Im November spüre ich zum ersten Mal meinen Eisprung bewusst: Ein deutliches Ziehen auf der linken Seite. Ich bin irritiert, google, und finde: Mittelschmerz. Manche spüren ihn stark, andere gar nicht.
Im Dezember merke ich, dass mein Körper sich weiter verändert. Kleine Pickel an den Oberarmen, mehr Haarwuchs an den Beinen. Ich nehme es mit Humor, nenne es meine zweite Pubertät. Auch meine Libido steigt. Offenbar war sie jahrelang durch die Pille gedämpft.
NFP statt Hormone
Meine Schwester rät mir zu NFP, der natürlichen Familienplanung. Obwohl der Name trügt – ich plane gerade keine Familie – finde ich die Methode spannend. Ich beginne, täglich meine Basaltemperatur zu messen, Zervixschleim zu beobachten. Ich lerne viel über meinen Zyklus, meine Phasen, meine Bedürfnisse. Der Pearl-Index liegt bei perfekter Anwendung bei 0,4, bei typischer Nutzung aber bei 24 (Quelle: pro familia). Ich würde sie aber nicht als so sicher einstufen und nutze NFP nicht zur Verhütung, sondern um meinen Körper besser kennenzulernen.
Vier Phasen, vier Ichs
Im Laufe der Monate verstand ich immer besser, wie mein Zyklus funktioniert. Es gibt vier Phasen: Menstruation, Follikelphase, Eisprung und Lutealphase. In jeder Phase verändert sich mein Energielevel, mein Hungergefühl, meine Haut, sogar meine Stimmung. Während ich in der Follikelphase meist energiegeladen und kreativ bin, brauche ich in der Lutealphase mehr Ruhe und Struktur. Es fühlt sich an, als würde ich mich monatlich neu kennenlernen, nicht nur körperlich, sondern auch emotional.
Zwei Jahre später
Heute, rund zwei Jahre nach dem Absetzen, hat sich mein Zyklus eingependelt. Meine Periode kommt regelmäßig, meine Migräne hat sich deutlich gebessert. Von wöchentlichen Anfällen auf vielleicht alle drei Monate und dann vielleicht 4 mal im Jahr. Viele meiner Ängste haben sich nicht bewahrheitet. Es war keine dramatische Transformation, aber eine stille, stetige Reise, um meinen Körper besser kennenzulernen. Doch es gibt noch so viel mehr, was wir über den weiblichen Körper nicht wissen. Ich musste oftmals mehr Verständnis für meinen Körper und mich selbst haben.
Wichtig: Das ist mein persönlicher Erfahrungsbericht. Jeder Körper reagiert anders. Bitte bespreche Veränderungen in der Medikamenteneinnahme immer mit Ärzt*innen oder medizinischem Fachpersonal.
