von Peter Adelt.
Sendezeit: Das bedeutet für die ‚Wellenhexen‘ Hochspannung. Aber nicht, weil es darauf ankommt eine möglichst gute Show abzuliefern. Die Sendung ist aufgezeichnet und die Technik vertraut. Unklar bleibt aber der Übertragungsort, die Sendefrequenz und ob alle wieder zurückkommen. Über eine Kontaktperson hatten die vier Frauen der Technikgruppe das Tonband mit der heutigen Sendung erhalten. Nun geht es in zwei Kleingruppen, mit je einem Sendeequipment, auf die Anhöhen um Zürich. Während der Sendung wechselt zwischen den Teams der Übertragungsort und die Sendefrequenz. Diese zwanzig Minuten an jedem zweiten Dienstagabend sind für die Frauen eine ständige Verfolgungsjagd. Denn zur selben Zeit brettern Polizei und Rundfunkbehörde durch die Gegend, um mit ihren Messgeräten die Sender aufzuspüren. Im Jingle der Sendung heißt es dazu nüchtern: „Wenn wir auf der Frequenz gestört werden, dann sucht weiter auf der Skala zwischen Hundert und Hundertvier.“ Zu hören sind die sechs Frauen der Redaktionsgruppe, die das Format gemeinsam mit weiteren Gästinnen vorproduzieren.
Die Wellenhexen sendeten zwischen 1976 und 1979 ihre zweiwöchige ‚Hexenwelle‘ und die Störungen blieben tatsächlich nicht lange aus: Noch im Premierenjahr verfolgten die Behörden die Übertragungsgruppen schließlich mit zwei Helikoptern, konnten aber nur noch einen verlassenen Sender auffinden. Sie hatten dort ein Flugblatt mit der Aufschrift „Wir brauchen keine Konzession und machen auch keine!“ zurückgelassen. Dabei ist Konzession, also die offizielle Zulassung des Senders das entscheidende Stichwort. Die Hexenwelle reiht sich mit ihrem Statement in die Tradition des autonomen Radios und dessen damalige Bewegung ein. Seit die ersten legalen Radiosendungen vor über 100 Jahren ausgestrahlt wurden, gab es auch eine autonome Nutzung der Sende- und Empfangstechnik. Denn das Radio wurde durch die Regulierung der Rundfunkbehörden zu einem wesentlichen Instrument der Informationsmacht. Nur lizensierten, also behördlich anerkannten Sendern, wurde eine Frequenz im Äther zugestanden. So orientierte sich der legale Rundfunkmarkt an staatlich geduldeten Inhalten und dem Großbürgertum, welches sich die teuren Radioapparate leisten konnte.
Dagegen entwickelten sich schnell Werkstätten, in denen kostengünstige Empfangsgeräte, aber auch eigene Sendeeinheiten zusammengebastelt wurden. Gegen die Repression durch Staat und Rundfunkbehörden begannen die Arbeitenden im ungenutzten Frequenzspektrum ihre Themen zu setzen. Oft waren es politische Bewegungen, die sich selbstbestimmt des Äthers bemächtigten. So kaperte beispielsweise an Silvester 1931 ein kommunistischer Techniker im Raum Berlin die Rundfunkansprache Hindenburgs. Anstelle des Reichspräsidenten teilte also 15 Minuten lang ein Rundfunkpirat seine Perspektive auf den Jahreswechsel mit. Die Semantik der Piraterie geht dabei eigentlich erst von den späteren Seesendern aus, die sich tatsächlich aus internationalen Gewässern in den Rundfunk einmischten. Sie entstanden um Europa besonders in den 50er- und 60er-Jahren, um mit dem Angebot von aktueller Popmusik und Werbung Geld zu verdienen. Piraten machen eben Beute. Die Offshore-Stationen und Boote wurden mit der Zeit gesetzlich trocken gelegt, aber ein Begriff hatte sich etabliert: Wer illegal im Rundfunk sendet und Frequenzen kapert, betreibt einen Piratensender.
Dabei werden jedoch die spezifischen Wurzeln der ‚Piraterie‘ im kommerziellen Rundfunk übersehen. Mehr noch: Das Narrativ einer ehemaligen Piraterie, die sich nun als privater Rundfunk etablieren durfte, verschleiert nach Anna Bromley gerade den andauernden Kampf gegen die staatliche Kontrolle des Äthers. Sie spricht daher von klandestinen, also ‚heimlichen‘, Sendern, die entweder kommerzielle Piraterie oder bewegungsgeleiteten Aktivismus betrieben. So sind etwa die Wellenhexen nicht im engeren Sinne als Radiopiratinnen zu verstehen. Ihr Kampf richtet sich vielmehr grundsätzlich gegen die Repression eines regulierten Rundfunks. Denn die Regulation geht mit Machtmechanismen einher, die ihre Themen unterdrücken: „Frauen reden endlich über das, was brennt!“ Mit diesen Worten wird die erste Sendung der Wellenhexen eröffnet und das Programm der kommenden Jahre zusammengefasst. Das Radiokollektiv verschafft in dieser Zeit möglichst vielen feministischen Initiativen aus Zürich ebenso wie Selbstzeugnissen von Frauen Gehör. Damit durchbrachen die Wellenhexen die strikte Tabuisierung von Themen wie Abtreibung und riefen zur Organisation gegen die patriarchale Unterdrückung auf. Ein völlig undenkbares Programm für die großbürgerliche Rundfunkbehörde. Also noch einmal: „Wir brauchen keine Konzession und machen auch keine!“
