„Sexistische Berichterstattung ist Gewalt mit Worten“

Studien belegen den engen Zusammenhang zwischen sexistischer Berichterstattung und Gewalt gegen Frauen, trans* und inter* Menschen und Queers. Genau dagegen geht Gender Equality Media e.V. vor. Lisa Grefer spricht mit Anne Marie Jacob aus dem Team des Vereins.

GöHört: Hallo Anne, kannst du dich und den Verein zunächst einmal vorstellen?

Jacob: Ich bin Anne Marie Jacob und bin seit Oktober 2017 bei Gender Equality Media e.V. aktiv und leite dort das Medienscreening-Team. Unser Verein geht auf die Kampagne StopBildSexism zurück, die einst aus einer Online Petition entstanden ist. 2017 haben wir dann Gender Equality Media e.V. gegründet.

GöHört: Auf eurer Website heißt es „Sexistische Berichterstattung in den Medien ist Gewalt in Worten.“ Kannst du das erläutern?

Jacob: Es ist so, dass Medien mit ihrer Wortwahl ein bestimmtes Meinungsbild prägen können. Sie verharmlosen tagtäglich die Gewalt gegen Frauen – die durchaus ein großes strukturelles Problem in Deutschland ist -, indem sie eben nicht von Vergewaltigung oder einem Vergewaltiger sprechen, sondern von einem Sextäter oder einer Sextat. Unserer Meinung nach ist das nicht nur Gewalt, die Überlebenden beim Aufschlagen der Zeitung entgegenschlägt, sondern auch eine Negierung und Verschleierung des strukturellen Ausmaßes der Gewalt gegen Frauen in Deutschland

GöHört: Und wie geht ihr konkret gegen sexistische Berichterstattung vor?

Jacob: Wir haben unsere Arbeit auf verschiedene Ebenen aufgeteilt. Auf der einen Seite haben wir die Empower-Ebene, die wir durch die Teilnahme an Workshops, Diskussionsrunden und Vernetzungstreffen bespielen. Ein großer Teil darin besteht aus der Zusammenarbeit mit Aktivist*innen und Journalist*innen. Die zweite Ebene ist unsere Get-Real-Ebene. Hier thematisieren wir Sexismus und sexualisierte Gewalt gegen Frauen und machen hauptsächlich über Social Media darauf aufmerksam. Hierzu gehören auch unsere Medienscreenings und Studien. Die dritte Ebene stellt unsere Kampagnenarbeit dar.Diese begann mit StopBildSexism und wurde 2018 durch die Kampagnen #UnfollowPatriarchy abgelöst.. Vermutlich im nächsten Jahr startet unsere dritte Kampagne Recording Media.

GöHört: Was genau muss man sich unter den Medienscreenings vorstellen?

Jacob: Bei unserem ursprünglichen Medienscreenings haben wir uns die Online-Auftritte großer Medien wie dem Stern oder der Welt angeschaut und zunächst zu allgemein sexistischen Aussagen und Darstellungen von Frauen abgesucht. Dabei ist uns schnell bewusst geworden, dass es noch ein weiteres, mindestens genauso großes Problem gibt, nämlich die Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen. Dabei sind uns bestimmte Begriffe wie Beziehungstat, Ehedrama und Sextäter immer wieder aufgefallen. Deshalb haben wir Anfang des Jahres 2020 beschlossen, uns komplett auf die Schlagwortsuche zu fokussieren und seitdem screenen wir über die Google-Suchfunktion täglich die Medien nach diesem Katalog an Begriffen ab und dokumentieren Ergebnisse anhand von Screenshots, Titeln und Links zu den Artikeln.

GöHört: Und dann sprecht ihr Journalist*innen direkt in den sozialen Medien an, wenn euch etwas Negatives auffällt?

Jacob: Genau, das machen wir über Twitter. Wir schreiben die verantwortlichen Journalist*innen oder die Redaktion an und verweisen auf die Problematik der Wortwahl hin und dann um eine Anpassung des Artikels, der Überschrift oder des Fotos.

Foto: Gender Equality Media e.V.

GöHört: Wie viel Erfolg habt ihr damit?

Jacob: In schon ca. 60 Prozent aller Fälle erkennen Journalist*innen das Problem nach unserer Erklärung und bearbeiten die Titel oder den Artikel entsprechend. Teilweise müssen wir aber auch längere Diskussion wie zum Beispiel führen. Bei einem Artikel des SWR beispielsweise wurde im Zusammenhang mit Nadia Murad der Begriff „Sexsklavin“ benutzt. Nach langem Hin und Her hat der SWR aber schließlich die Problematik eingesehen und die Wortwahl angepasst. Es gibt natürlich auch Zeitungen oder Journalist*innen, die das komplett ignorieren. Das beste Beispiel ist nach wie vor die Bild-Zeitung. Da kommt unsere Kritik nicht an.

GöHört: Was wünschen Sie sich für die Medienwelt? Wie sieht diese in 20 Jahren idealerweise aus?

Jacob: Natürlich sind Medien in 20 Jahren idealerweise Sexismus-frei. Gewalt gegen Frauen können wir wahrscheinlich nur schwer abschaffen, aber wir hoffen einen Beitrag dazu leisten zu können, dass zukünftig politische Begriffe wie Femizid oder Frauenmord in der Berichterstattung verwendet werden. Die weisen nochmal explizit auf das strukturelle Ausmaß hin. Und wünschen wir uns natürlich darüber hinaus, dass auch unterrepräsentierte Gruppen viel öfter in den Medien abgedruckt werden und zu Wort kommen.

GöHört: Was würden sie sagen, wie können Medienmacher in Bezug darauf Haltung zeigen und Verantwortung leben?

Jacob: Wir haben das mit der dpa erlebt, dass sie sich dazu bereit erklärt hat, von Begriffen wie Familiendrama oder Ehedrama abzusehen. Das ist ein erster großer Schritt. Dann werden idealerweise Journalist*innen auch selbst aktiv. Wir hatten zum Beispiel einen Journalisten vom Stern, der auf unsere Studie zur Begriffssuche aufmerksam geworden ist. Er hat uns gefragt, ob wir ihm nochmal konkret die Daten zum Stern geben können, damit er die Probleme mit seinen Kolleg*innen durchgehen kann. Solche Reaktionen sind sehr wünschenswert. Wobei wir in Sachen Eigeninitiative auch wissen, dass vor allem Berufsanfänger*innen wenig Möglichkeiten haben und sich oftmals bestimmten Richtlinien in den Redaktionen unterwerfen müssen.

GöHört: Möchtest du unseren Lesenden* zum Abschluss noch etwas mit auf den Weg geben?

Jacob: Ja ich schlage vor, immer einen kritischen Blick zu haben, wenn man die Zeitung aufschlägt und wirklich dreimal zu hinterfragen, warum bestimmte Begriffe benutzt werden und, ob man diese als Journalist*in nicht gegebenenfalls mit politischen Begriffen ersetzen kann.

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