Im Namen der Kinder ergeht folgendes Urteil 

Bis zur Berufung ins Richteramt gehen schnell mal zehn Jahre rum. Zehn Jahre – so alt sind auch einige der Richter und Prozessbeteiligten in dieser Verhandlung. Eine Gruppe Schülerinnen und Schüler hat an der hiesigen Juristischen Fakultät ein Gerichtsverfahren gegen die Genehmigung von Windkraftanlagen simuliert. 

„Das Gericht ist eingetreten, bitte erheben Sie sich“, sagt Kasimir in der Rolle des Richters von Schlippe und eröffnet die Verhandlung.  

Sie bildet einen der Höhepunkte der Klimaschutz-AG des Gymnasiums Andreanum in Hildesheim. In dem „Moot Court“ erleben die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen fünf bis sieben hautnah, welche entgegengesetzten Interessen von der Rechtsordnung in einen Ausgleich miteinander gebracht werden müssen. So stehen auch sie entweder auf der Kläger- oder der Beklagtenseite und nehmen die Rollen eines Landwirts, einer Vogelschützerin, der Genehmigungsbehörde, der Windrad-Betreibergesellschaft und der entscheidenden Richter ein. 

Darüber wird sich heute gestritten 

Konkret geht es im Sachverhalt darum, dass auf dem Grundstück des Bauern Bachmann drei Windkraftanlagen mit je 100 Metern Höhe errichtet werden sollen. Das gefällt dem Landwirt gar nicht: „Das ist doch nicht schön, wenn man morgens aufwacht, aus dem Fenster in den Garten schaut und direkt ein Windrad sieht! Und der Lärm… Das ist wirklich eine Belästigung für uns.“ Hinzu kommt, dass eine der drei Anlagen in einem Naturschutzgebiet errichtet werden soll. Vogelschützerin Voss nennt dies „eine Gefahr für alle Vögel“.

Doch dies lässt die Gegenseite nicht lange auf sich sitzen. Rechtsanwalt Günther – gespielt von Kai – entgegnet: „Ich sehe den Punkt, Frau Voss. Es sterben allerdings mehr Vögel durch Straßenverkehr wie durch unsere Windräder. Es gibt nicht so viele Todesfälle wie gedacht.“ 

Für die Errichtung und den Betrieb der Windkraftanlagen hat die zuständige Behörde des Landkreises Hildesheim die erforderliche Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erteilt. Auch den Standpunkt des Landkreises müsse man laut Günther verstehen. Nach einem Einspruch der Gegenseite reicht es ihm schließlich und er haut auf den Tisch: „Nein! Wir brauchen verschiedene Arten und Wege, um die Natur zu schützen. Da müssen wir alle zusammen arbeiten. Sonst funktioniert das nicht!“

Vorbereitung ist das A und O 

Gute Zusammenarbeit kennen die Schülerinnen und Schüler bereits aus ihrer Vorbereitung auf diese Verhandlung. In vielen Gruppenarbeiten im Rahmen der Klimaschutz-AG haben sie die naturwissenschaftlichen Herausforderungen für effektiven Klimaschutz und damit verbundene juristische Themenkomplexe untersucht. Die AG ist Teil eines Kooperationsprojekts der Universität Göttingen mit dem Gymnasiums Andreanum, geleitet von Prof. Dr. Angela Schwerdtfeger, Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Göttingen, und Studienrätin Britta Platz. 

Die Lehrerin berichtet: „Professorin Schwerdtfeger und ich kennen sich noch aus Schulzeiten und wollten gerne ein gemeinsames Projekt starten, um eine Verknüpfung zwischen Schule und Universität zu schaffen. Gefördert wird dies nun von der Robert-Bosch-Stiftung. Das Besondere an unserem Projekt ist, dass wir als Einzige auf Seiten der Universität rechtswissenschaftliche Themen behandeln. Sonst liegt der Fokus in solchen Kooperationen meist auf den Naturwissenschaften. Uns lag aber gerade die Verzahnung zwischen Jura und Naturwissenschaft besonders am Herzen.“

Weiter erklärt Platz: „Wir haben uns beispielsweise mit dem Treibhaus, der Erderwärmung und der Frage, warum wir auf regenerative Energien setzen, beschäftigt. Anschließend haben wir vereinfachte juristische Grundlagen in mehreren Einheiten in der AG kennengelernt. Besonders wichtig war hierbei der Artikel 20a aus dem Grundgesetz, wonach der Staat in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere schützt. Zudem…“ Da fällt eine Schülerin ihrer Lehrerin ins Wort: „Kurzum – erst naturwissenschaftliche Grundlagen, dann das Juristische. Das wollte Frau Platz sagen“, meint die zehnjährige Nele und fasst so das Projekt zusammen. Für sie sei der Tag eine ganz besondere Erfahrung gewesen. „Das ist ja nichts, was man jeden Tag macht“, erzählt sie. 

Der Blick in die Zukunft

In der Zukunft soll die Zusammenarbeit zwischen dem Gymnasium Adreanum und der Universität Göttingen auch nach Ablauf der zweijährigen Förderung fortgeführt werden. So sind nach Schwerdtfegers Worten bereits weitere kleine Kooperationen geplant. 

Das Urteil fällt schließlich so aus, dass die Windkraftanlage im Naturschutzgebiet zwar unzulässig ist, die anderen beiden dürfen aber wie geplant errichtet werden. Alle Prozessbeteiligten zeigen sich mit diesem Ergebnis mehr als zufrieden. Vielleicht wird ja noch mit einem Glas Kindersekt gemeinsam angestoßen? 

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