Die Kunst des Übersetzens

María del Carmen Mata Castro und Ilva Fabiani von „FLÜstern“ im Interview

María del Carmen Mata Castro
Lektorin für Spanisch
Ilva Fabiani
Lektorin für Italienisch

Vor drei Jahren wurde das Zertifikatsprogramm „Fachliches und Literarisches Übersetzen“ am Romanischen Seminar unserer Universität ins Leben gerufen. Campusradio hat die Begründerinnen María del Carmen Mata Castro, Lektorin für Spanisch, und Ilva Fabiani, Lektorin für Italienisch, für euch zum Übersetzen und dem Zertifikatsprogramm interviewt.

Campusradio: Der italienische Schriftsteller Italo Calvino soll einmal folgendes zu Übersetzungen gesagt haben: „Ohne Übersetzungen wäre ich auf die Grenzen meines eigenen Landes beschränkt. Der Übersetzer ist mein wichtigster Verbündeter. Er stellt mich der Welt vor.“ Ist das Übersetzen etwas Zeitloses? 

Frau Mata Castro: Ja, man kann in der Tat sagen, dass Übersetzen zeitlos ist. Seitdem es den Buchdruck gibt, werden Werke in andere Sprachen übersetzt, um sie einem Publikum bekannt zu machen, das die Sprache der/die Autor:in nicht beherrscht. Aber man muss ein wenig unterscheiden zwischen einer Übersetzung, die die Zeit überdauert, und einer Übersetzung, die an die aktuelle Zeit, in der die Leserschaft lebt, angepasst werden muss. Deshalb gibt es Werke, für die es mehrere Übersetzungen gibt, die sich im Laufe der Zeit verändert haben. Das heißt, die Übersetzung selbst ist nicht zeitlos. Sie geht mit der Zeit, weil sie nicht nur von der Sichtweise des/der Autor:in, sondern auch von der Sichtweise der Übersetzer:innen abhängt. Alles hängt von der Zeit ab, in der das Werk geschrieben wurde, in der es gelesen wird und in der es übersetzt wird. Ein Werk zu übersetzen bedeutet, sich der Welt und anderen Perspektiven und Interpretationen zu öffnen. Übersetzer:innen sind zu Fachleuten geworden, die in der Lage sind, die Realitäten zweier unterschiedlicher Kulturen als Bindeglied zu verbinden. Die Welt, die ein Werk widerspiegelt, wird auch in ein Blatt Papier umgewandelt, auf den ebenfalls der/die Übersetzer:innen schreibt. Werden die Werke nicht übersetzt, können sie nur von einem Publikum gelesen werden, das die Sprache entweder als Muttersprachler:in bzw. auf einem relativ hohem Niveau beherrscht. In beiden Fällen ist die Reichweite begrenzt, wenn sie nicht um eine Übersetzung erweitert wird. Bis zu einem gewissen Grad kann der/die Übersetzer:in ein Verbündeter des Autors sein, wie Italo Calvino gesagt hat, wenn die Übersetzung gut gemacht ist, also wenn der/die Übersetzer:in eine Sensibilität und Affinität zum Text zeigt, aber einigermaßen unsichtbar bleibt. Es gibt auch Fälle, in denen sich ein:e Autor:in nicht mit seinen oder ihren Übersetzungen identifiziert, weil eine Übersetzung ein Werk schafft, das sich teilweise vom Original unterscheidet. 

„Übersetzer:innen verleihen dem Gedicht eine besondere Note“

Campusradio: Also kann man die Übersetzung als eine eigene Kunst oder eine eigene Dichtung verstehen?

Frau Fabiani: Ja, das auf jeden Fall. Das sehen wir besonders bei den Lyrik-Übersetzungen, weil da häufig Übersetzer:innen selber Autor:innen oder Dichter:innen sind. Bei der Übertragung in die Muttersprache verleihen sie dem Gedicht eine besondere, zusätzliche Note. Insofern können sie natürlich als Co-Autor:innen betrachtet und bezeichnet werden, weil es nicht nur der Prozess der Übertragung in die Muttersprache ist. Sie gestalten den Text auch neu mit. Sie verändern den Text, damit er, wie beim Beispiel des Gedichts, in der Fremdsprache gut klingt. Das sehen wir besonders beim Gedicht, weil die Übersetzung von Gedichten eine besonders komplexe Aufgabe ist. Das hat nicht nur mit der Übersetzung von Wörtern und Sätzen zu tun. Es geht auch um Klang. In der italienischen Literatur haben wir zum Beispiel den Fall von Ingeborg Bachmann, die große Dichter:innen wie Giuseppe Ungaretti übersetzt hat. Wenn man nur die Übersetzung des Gedichts von Ingeborg Bachmann liest, ist es manchmal schwierig, das ursprüngliche Gedicht zu rekonstruieren, weil sich das Gedicht mit der Übersetzung in die Fremdsprache verändert hat. Mit der Übersetzung wird dem Gedicht eine eigene dichterische Kraft verliehen.

Campusradio: Heutzutage spricht nahezu jede:r eine Fremdsprache, das Englische ist beispielsweise am laufenden Band zu hören. Ein Text aus einer Fremdsprache sieht für ein geschultes Auge vielleicht einfach aus, sofern man die Sprache beherrscht. Aber kann denn jede:r übersetzen?

Fabiani: Eigentlich nicht. Übersetzen kann und sollte gelernt werden. Aus meiner Sicht sollte man dafür ein paar Kompetenzen mitbringen. Man braucht eine hohe Lesekompetenz in der Fremdsprache, was ein hohes Sprachniveau voraussetzt. Darüber hinaus braucht man sehr gute Kenntnisse der Kultur, der Gesellschaft und Literatur des Landes, um einfach alle Anspielungen bzw. das, was der Autor zwischen den Zeilen vermittelt, zu verstehen und übersetzen zu können. Dann ist aus unserer Sicht auch ganz wichtig, dass die wichtigste Sprache nicht die Ausgangssprache, sondern die Muttersprache ist. Nicht alle haben diese Sensibilität für die sprachlichen Nuancierungen in der Muttersprache. Diese Sensibilität gewinnt man durch Lesen bzw. durch analytisches Lesen und natürlich auch durch Übersetzungskurse, in denen man in einer gewissen Fähigkeit zum Übersetzen geschult wird. In unserem Übersetzungskurs beispielsweise streitet man sich auch lange über eine Passage, um die passende Übersetzung zu finden. Diese Arbeit ist sehr bereichernd und führt dazu, dass man die Kompetenzen der Entscheidungsfindung entwickelt. Konkret, auch sprachliche Entscheidungen zu treffen. 

Honorar-Schwierigkeiten und voller Markt: „Übersetzer:innen können nicht nach Stundensatz arbeiten“

Campusradio: Es gibt viele Menschen, die als Übersetzer:innen arbeiten. Der Markt an Übersetzer:innen ist umkämpft. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund? 

Mata Castro: Der Beruf der Übersetzer:innen ist in Deutschland nicht geschützt. Unabhängig vom Werdegang und den Qualifikationen kann jeder, der sein Fachgebiet beherrscht und sich regelmäßig fachlich und sprachlich fortbildet – auch ohne Hochschulstudium – als Übersetzer:in arbeiten. Es gibt viele Quereinsteiger:innen und Autodidakt:innen. Jede:r versucht, sich einen Namen zu machen und herauszustechen. Auf der einen Seite gibt es Übersetzer:innen, die dank einer Reihe von Stipendien oder Preisen, die sie für ihre Übersetzungen erhalten haben, bereits weltweit bekannt oder bei den Verlegern hoch geschätzt sind. Aber auf der anderen Seite gibt es angehende Übersetzer:innen, die versuchen, ihre ersten Aufträge um jeden Preis zu bekommen und jedes Honorarangebot anzunehmen. Das ist das Problem. 

Campusradio: Haben Sie konkrete Veränderungsvorschläge? Müsste bspw. der Beruf der Übersetzer:innen geschützt werden? 

Mata Castro: Nicht unbedingt. Man muss auch verstehen, dass nur sehr wenige Übersetzer:innen vom Übersetzen allein leben können. Viele von ihnen müssen sich mit anderen Jobs über Wasser halten, was sehr anstrengend ist, da sie mitunter in ihrer Freizeit sehr anspruchsvolle und hochqualifizierte Arbeiten mit sehr engen Abgabefristen erledigen müssen. Viele Übersetzer:innen beschweren sich seit Jahrzehnten über das lächerlich niedrige Honorar, das sie erhalten. Meiner Meinung nach sollte als erstes die Vergütungsmethode pro Normzeile oder pro Normseite geändert werden, wobei der Komplexität und dem Schwierigkeitsgrad der zu übersetzenden Texte sowie deren Länge zu berücksichtigen sind. Es ist klar: Übersetzer:innen können nicht nach Stunden bezahlt werden und nicht im Akkord arbeiten. Ein weiterer Aspekt, der sich ändern müsste, ist die Anpassung der Honorare an die reale Inflation bzw. an die wirtschaftliche Realität des Landes, denn manchmal geht das, was Übersetzer:innen an Lohn für gute Arbeit erhalten, in der Kaufkraft verloren. Das Einkommen muss mit den Lebenshaltungskosten bzw. mit der Entwicklung der Verbraucherpreise in Einklang gebracht werden. In der Übersetzungsbranche gibt es weder einen gesetzlichen Mindestlohn, noch werden die Gehälter bei jeder Vertragsunterzeichnung mit den Verlegern ausgiebig ausgehandelt. Es ist eine unverzeihliche Stagnation eingetreten. Berücksichtigt man außerdem, dass Übersetzer:innen in der Regel im Homeoffice arbeiten und ihre gesamte technische Ausrüstung, einschließlich Strom, Heizung, Bürobedarf bzw. Büroausstattung, zur Verfügung stellen, dann verliert der/die Übersetzer:in Geld, sobald er seine oder ihre Arbeit aufnimmt, zumal die Konsumgüter teurer werden. Ein weiterer, wichtiger Punkt ist meiner Meinung nach, dass Übersetzer:innen nicht länger als Einsiedler:innen arbeiten sollten, sondern sich Organisationen oder Verbänden anschließen sollten, die sie vertreten oder als Lobby für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Übersetzer:innen fungieren, unabhängig davon, ob es sich um Anfänger:innen oder etablierte Übersetzer:innen handelt. 

Campusradio: Verbände wie der Deutsche Übersetzerverband?

Mata Castro: Genau. Das ist ein Anfang. 

Fabiani: Auf der Frankfurter Buchmesse wurde das Thema sehr heiß diskutiert. Die Bedingungen der Übersetzer:innen wurden ganz klargestellt und kritisiert. Es passiert im Moment sehr viel und hoffentlich führen diese Diskussionen zu praktischen Veränderungen und einer Verbesserung des Berufs. 

Campusradio: Sehen Sie da auch den Gesetzgeber in der Pflicht oder eher die Verlage?

Mata Castro: Also ich glaube, eher die Verlage. Sie sind die Auftraggeber und müssten das entsprechend ändern. 

Übersetzen im Zeitalter der Automatisierung?

Campusradio: Es gibt bereits eine Vielzahl an Möglichkeiten zum Übersetzen. Die künstliche Intelligenz ist immer weiter auf ihrem Vormarsch. Sehen Sie dadurch den Beruf der Übersetzer:innen vielleicht auch ein wenig in Gefahr? 

Mata Castro: Sowohl der private als auch der öffentliche Sektor benötigen in technologischer Hinsicht hochqualifizierte Fachkräfte. Die Übersetzer:innen müssen mit der Verwendung computergestützter Übersetzungsprogramme wie z.B. STL Trados Studio, Wordfast oder MemoQ vertraut sein, den ganzen Übersetzungsprozess zu beschleunigen, da die Programme auch selber lernen. Die Informationen, wie bspw. Wörter, werden in diesen sogenannten Translation Memories gespeichert, die bei der Übersetzungsarbeit helfen. Es gibt auch Übersetzungstools, die die Verwendung von Glossaren anbieten, oder Wörterbücher wie WordReference.com, die sehr nützlich sein können. Das hängt davon ab, welche Rolle die künstliche Intelligenz bei der Arbeit eines/einer Übersetzer:in spielt. Ich sehe darin keine Gefahr, sondern eher eine Herausforderung, die der/die Übersetzer:in erkennen muss. Die künstliche Intelligenz ist da, um ihre Arbeit zu verbessern und profitabler zu gestalten. Nicht, um deren Anwender:innen zu ersetzen. DeepL kann beispielsweise einen technischen Text oder auch einen normalen Text fast perfekt übersetzen. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis eine künstliche Intelligenz in der Lage ist, Aspekte wie bspw. Ironie oder Wortspiele, eine ständig wechselnde Umgangssprache oder sogar Poesie zu erkennen, wie meine Kollegin gesagt hat. Ich glaube, dass die Übersetzer:innen in Zukunft alle digitalen Mittel und Werkzeuge sowie alle Vorteile und die Geschwindigkeit, die die künstliche Intelligenz bietet, nutzen werden, um das Endergebnis ihrer Arbeit zu verfeinern. Dieser Aspekt muss sich auch in der Vergütung widerspiegeln. Das Wissen, wie man künstliche Intelligenz präzise einsetzt, hat seinen Preis. Den muss nicht der/die Übersetzer:in, sondern der Verlag bzw. der/die Auftraggeber:in zahlen.

„Das haben wir von Anfang an gewollt“: Studienangebot zum Übersetzen für alle Studierende

Campusradio: Seit etwa drei Jahren gibt es am Romanischen Seminar der Universität ein Zertifikatsprogramm. Der Kurs heißt „Fachliches und Literarisches Übersetzen“. Könnten Sie mir dazu etwas erzählen, Frau Fabiani?

Fabiani: Es handelt sich bei dem Programm nicht um einen Kurs, sondern um ein Studienangebot. Es ist angesiedelt im Bereich der Schlüsselkompetenzen, verleiht 18 Credits und kann in drei Semestern von Studierenden aller Fachrichtungen absolviert werden. Wir haben von Anfang an gewollt, dass nicht nur Romanist:innen, Anglist:innen oder Studierende eines anderen Fachs der philosophischen Fakultät in diesem Angebot studieren können, sondern auch Studierende aus anderen Fächern bzw. Fakultäten, wie bspw. BWL oder Soziologie. Unabhängig davon, ob man auf Bachelor oder auf Master studiert. Bei entsprechenden Sprachkenntnissen kann das Programm absolviert werden. Das muss man sich so vorstellen: Es ist ein Studienangebot, für das man sich bewerben muss. In dem ersten Semester geht es vor allem um eine allgemeine Einführung in die Translatologie. In einem ersten parallelen Übersetzungskurs gibt es praktische Übungen von der Fremdsprache in die Muttersprache, sozusagen die einfachere Variante. Im zweiten Semester gibt es noch eine fachwissenschaftliche Veranstaltung, meistens mit dem Schwerpunkt in Literaturwissenschaft. Das beinhaltet auch die Geschichte der Übersetzung. Dazu kommt der schwierigere Teil der Übersetzungsübung, nämlich die Übersetzung von der Muttersprache in die Fremdsprache. Dann gibt es am Ende ein praktisches Semester, das sich „Translatorische Performanz“ nennt. Hier werden die Studierenden in verschiedenen Übersetzungsprojekten je nach eigens gewähltem Schwerpunkt involviert. Manche interessieren sich bspw. für Literatur, manche möchten Fachübersetzer:innen werden. Manche wählen als Schwerpunkt journalistische oder juristische Texte. Uns ist sehr wichtig, dass im Zertifikat die individuelle Vorliebe berücksichtigt wird. 

Campusradio: Ich meine, gelesen zu haben, dass das Zertifikat eines der wenigen seiner Art in Deutschland sei. Wie lässt sich diese Einzigartigkeit beschreiben?

Fabiani: Man muss zuerst berücksichtigen, wo dieses Zertifikat geboren wurde: Nämlich innerhalb einer Fremdsprachenphilologie. Wir sind kein Dolmetscher-Institut, wir sind auch kein Studiengang in Übersetzungswissenschaft, wie es sie z.B. in Heidelberg, München oder Leipzig gibt. Wir sind eine Fremdsprachenphilologie. Das bedeutet, dass wir mit sehr guten, soliden Kenntnissen bezüglich sowohl der Fremdsprache als auch der Kultur und Literatur, die studiert werden, arbeiten. Darüber hinaus bieten wir in diesem Zertifikatsprogramm eine sehr praxisnahe Ausrichtung, auch in Bezug auf den Beruf, an. Das heißt: Wir bieten ein erstes Kennenlernen mit wissenschaftlichen Fragen und Aspekten der Übersetzungswissenschaften an, aber auf der anderen Seite auch sehr praktisch angelegte Kurse, die am Ende in ein Portfolio mit individuellen Schwerpunkten münden. Wenn man das zusammenfasst, könnte man sagen: Unser Zertifikat ist individuell angepasst, praxis- und auch berufsnah. Diese Besonderheiten waren uns besonders wichtig beim Entwurf des Zertifikats.

„FLÜstern“ – eine Online-Zeitschrift für Übersetzungen der Studierenden

Campusradio: Mit dem Zertifikat ist auch das Online-Magazin „FLÜstern“ verbunden. Übersetzungen sind nun jedoch heutzutage wie Sand am Meer in unserem Alltag verbreitet. Warum dafür extra eine Zeitung?

Fabiani: „FLÜstern“ ist eine besondere Zeitschrift. Zunächst einmal ist es eine Online-Zeitschrift, die zwischen Mai und Juni erscheint. Sie ist darüber hinaus besonders, weil wir damit die Erfahrungen aus einem ganzen Semester bündeln. Dafür haben wir aus den zeitgenössischen Literaturen aus dem hispanophonen, italienischen, lusitanischen und frankophonen Raum verschiedene Werke ausgewählt. Diese Werke schlagen wir dem deutschen Publikum bzw. den deutschen Verlagen mit der Online-Zeitschrift jenseits der üblichen Kanäle sozusagen vor. Das besondere ist: Die Übersetzungen werden die Studierenden unter der Anleitung von professionellen Übersetzer:innen anfertigen. Diese Übersetzer:innen werden den Studierenden helfen, eine druckfertige Übersetzung zu schaffen. Das heißt, dass diese Zeitschrift als Ziel eine Art literarisches Scouting hat. Wir möchten, dass diese übersetzten Werke den Zugang zur deutschen Leserschaft finden. Dadurch entstehen für die Studierenden auch Kontakte zu Verlagen, Autor:innen und Übersetzer:innen, damit man schon während des Studiums anfängt, sich mit der Arbeitswelt auseinanderzusetzen. Die Zeitschrift ist also mehr als nicht nur eine Zeitschrift, sondern sie bietet die Möglichkeit, sich zu vernetzen. 

Campusradio: Sie haben gerade zeitgenössische Literatur angesprochen. Kann man sich darunter auch unbekanntere Autoren vorstellen? 

Fabiani: Auf jeden Fall. Unbekanntere Autor:innen, aber auch Autor:innen, die Verleger:innen nicht sofort vorschlagen oder vielleicht auch Autor:innen, die vor einiger Zeit veröffentlicht wurden und dann in Vergessenheit geraten sind. Deswegen steckt dahinter eine große, intensive Arbeit, um diese Werke zu suchen und auszuwählen. Natürlich werden die Studierenden nicht das ganze Werk übersetzen, sondern bestimmte, vorher vorgegebene Passagen. Dazu werden die Studierenden auch einen Steckbrief über den/der Autor:in anfertigen und beschreiben, warum es Sinn ergeben würde, dieses Werk ins Deutsche zu übersetzen. Durch dieses literarische Scouting erhoffen wir uns natürlich, dass das ein oder andere Werk auch seinen Weg zu der deutschen Leserschaft findet.  

Campusradio: Vor zwei Wochen hat im Rahmen des Moduls „Translatorische Performanz“, das Sie eben bereits angesprochen haben, eine Online-Vortragsreihe begonnen. Können Sie mir dazu etwas erzählen, Frau Mata Castro?

Mata Castro: Einerseits trägt das ganze, letzte Modul des Zertifikatsprogramms „SK FLÜ 30“ die Bezeichnung „Translatorische Performanz“, wo die Absolvent:innen dieses Moduls die Fähigkeit zur Reflexion und Anwendung des Gelernten anhand von task based Aufgaben mit berufspraktischem Bezug erlernen. Im Rahmen einer Selbststudieneinheit können sie auch – wie meine Kollegin gesagt hat – über translationsspezifische Phänomene reflektieren, wahlweise mit Bezug zur Sprach- oder Literaturwissenschaft. Sie übersetzen selber Fragmente von Werken, die in Deutschland noch nicht übersetzt wurden, mit Beratung und Betreuung von berufserfahrenen Mentor:innen. Andererseits verfolgt das letzte Modul von unserem aufgabenorientierten Lernprojekt insbesondere das Heranführen an die Arbeitswelt des internationalen Buchmarktes. Dafür haben wir sechs bis sieben Referent:innen eingeladen… Richtig, Ilva?

Fabiani: Ja, genau!

Suhrkamp, Übersetzerfonds, Literarisches Colloquium – Vorträge mit bedeutenden Vertretern der Branche

Mata Castro: Diese Referent:innen halten bis Ende 2022 eine Reihe von Vorträgen über Aspekte der Übersetzungsarbeit: Frau Marieke Heimburger, Erste Vorsitzende des Verbands für Übersetzer und Übersetzerinnen (VdÜ), sprach über das Literaturübersetzen und die Arbeit und Hilfestellung des Verbandes. Dr. Michael Römling, der selber Übersetzer, Verleger und Autor ist, hat den Zertifikatsstudierenden erläutert, wie man einen historischen Roman übersetzt. Dann hatten wir Dr. Jürgen Jakob Becker vom Literarischen Colloquium Berlin und Geschäftsführer vom Deutschen Übersetzerfonds, der vor einigen Tagen über die Stipendien, Programme und Projektforderungen des Übersetzerfonds referierte. Zwei Lektorinnen, Annette Wassermann und Sabine Erbrich, stellten die Arbeit eines Lektorats in zwei verschiedenen Verlagen vor. Ende Dezember – wenn alles gut läuft – wird Kerstin Berns, Geschäftsführerin Berns Language Consulting über die effiziente Nutzung von Terminologie und Systeme für maschinelle Übersetzung sowie Terminologie- und Übersetzungsmanagement referieren. Es ist wirklich eine ganz spannende und sehr aktuelle Vortragsreihe. 

Fabiani: Bei den Lektorinnen handelt es sich um zwei Lektorinnen von zwei sehr renommierten Verlagen, nämlich einmal vom Wagenbach-Verlag und einmal vom Suhrkamp-Verlag. 

Campusradio: Oh ja, die kennt man! 

Fabiani: Ja, das sind zwei sehr bekannte Verlage.

Campusradio: Wo sehen Sie bei dem Projekt Ihre persönlichen Aufgaben und Ziele? 

Fabiani: Für mich gilt, dass innerhalb von „FLÜstern“… Vielleicht sollten wir erst nochmal sagen, was „FLÜstern“ bedeutet. „FLÜ“ setzt sich zusammen aus „Fachliches und Literarisches Übersetzen“ und dem Verb „flüstern“. Mit dem Projekt „flüstern“ wir sozusagen Neuigkeiten aus der Welt bzw. wir suggerieren Werke, von denen wir meinen, dass es sich lohnen würde, sie zu übersetzen. Ich finde, dass ich innerhalb von „FLÜstern“ meine Liebe zur Literatur und für die Sprachen leben und aufleben lassen kann. Ich finde es auch sehr interessant, dass man Studierenden an einen ehrwürdigen, häufig unterschätzten Beruf heranführen kann. Ich mag es auch sehr gerne, Kontakte zu organisieren, die Studierende im späteren Berufsleben brauchen werden. Ich habe das selber in meinem Studium vermisst und merke auch, dass Studierende das vermissen. Deswegen finde ich unsere Aufgabe umso wichtiger. Natürlich habe ich die Ehre und die Möglichkeit mit meiner geschätzten Kollegin zusammenzuarbeiten und den Studierenden das zu geben, was sie eben vermissen: die Verbindung zur Berufswelt. 

Mata Castro: Ganz genau! Ich bin ganz der Meinung meiner Kollegin. Das sind genau die Aufgaben, die ich mit diesem Projekt verbinde. 

Großer Anklang und Lob – „Unser Traum wäre ein Masterstudiengang“

Campusradio: Lassen sich denn bereits Erfolge durch das Projekt abzeichnen?

Mata Castro: Absolut! Ein großer Erfolg ist meiner Meinung nach, dass das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur ca. 50.000 Euro zur Finanzierung des Projekts bewilligt hat. Das zeigt, dass die Idee, die universitäre Welt rund um das Übersetzen, die Akteure des Buchmarktes, professionelle Übersetzer:innen als Mentor:innen und die Herausgabe der Online-Zeitschrift als Scouting neuer oder noch nicht ins Deutsche übersetzter Werke miteinander zu verbinden, eine förderungswürdige Idee ist. Bei der Suche nach noch nicht übersetzten Werken haben wir sowohl bei einigen Autor:innen, Verleger:innen als auch Literaturagenturen große Begeisterung festgestellt. Sie haben uns zu diesem individuellen Lehr- und Lernprojekt beglückwünscht. Das hat uns wirklich sehr große Freude bereitet. 

Fabiani: Auch auf der Ebene der Studierenden lassen sich Erfolge abzeichnen. Zum Beispiel hat ein Student ein Weihnachtsgedicht übersetzt. Das bedeutet: Er hat schon eine erste, kleine Veröffentlichung gehabt. Eine Studentin wird sich als Praktikantin beim Deutschen Übersetzerfonds bewerben. Eine andere hatte wiederum bei einem Verlag bereits ein Vorstellungsgespräch. Es sieht für sie sehr gut aus. Es sind noch Kleinigkeiten, aber wir sind am Anfang des Weges. Wir dachten vor drei Jahren, dass die Realisierung des Projekts nicht möglich wäre. Aber es ist doch möglich. Es ist ganz viel Begeisterung dabei. Unser Traum wäre, aus diesem Zertifikat einen neuen Masterstudiengang über das Übersetzen zu gründen, weil in Göttingen die Ressourcen mehr oder weniger vorhanden sind. Dazu braucht man natürlich die Unterstützung von den Studierenden, vom Universitätspräsidium und dem Ministerium. Aber das ist die Richtung, die wir einschlagen möchten. 

Campusradio: Findet das Projekt auch innerhalb der Universität Anklang? 

Mata Castro: Es wird sehr gut angenommen. Auch andere Seminare sind an dem Zertifikatsprogramm beteiligt, zum Beispiel das Seminar für Iranistik und das Seminar für Arabistik. 

Fabiani: Wir haben bisher gute Erfahrungen mit dem Projekt gemacht und wissen, was zu tun ist. Wir freuen uns immer, wenn sich weiterhin Studierende bewerben.

Campusradio: Ich bedanke mich herzlich für das Interview. 

Das Interview führte Luis Pintak. Hört auch nochmal in unseren Podcast herein, wo ihr zusätzlich ein Feature zum Übersetzen und dem Zertifikatsprogramm findet! 

Weitere Informationen zum Zertifikatsprogramm findet ihr auf der Seite des Seminars oder direkt bei „FLÜstern“.

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